Prinzipiell ändert sich durch die Einführung des sogenannten „Einheitspatents“ (europäisches Patent mit einheitlicher Wirkung (EPeW)) zunächst gar nichts. Eine Patentanmeldung kann in Europa weiterhin über nationale Patentämter und/oder über das Europäische Patentamt eingereicht werden, wobei nach einem erfolgreichen Erteilungsverfahren ein entsprechendes nationales oder europäisches Patent erteilt wird. Das europäische Patent zerfällt bekannterweise nach der Erteilung in nationale Teile („Bündelpatent“). Rechtsstreitigkeiten betreffend ein nationales Patent oder den nationalen Teil eines europäischen Patents werden weiterhin vor den jeweiligen nationalen Gerichten verhandelt (siehe schematische Darstellung unten).
Das Einheitspatent bietet eine neue, zusätzliche Option, welche das bestehende europäische Patentsystem nicht ersetzt, sondern ergänzt. Die Anmelderin kann nun, bei Erteilung eines europäischen Patents, zwischen zwei Wegen (i) und (ii) wählen.
Gemäß Weg (i) bleibt alles beim Alten: das europäische Patent zerfällt nach Erteilung in ein Bündel nationaler Teile.
Weg (ii) ist eine neue Option, bei der das Einheitspatent beantragt werden kann, welches derzeit 18 Mitgliedstaaten (langfristig sind 24 Mitgliedstaaten geplant) der Europäischen Union (EU) abdeckt. Damit kann ein einziges Patent mit Wirkung in allen diesen derzeit 18 EU-Mitgliedstaaten erteilt werden, anstelle von den bisherigen 18 nationalen Teilen des Bündelpatents.
In Mitgliedstaaten, welche nicht am Einheitspatent teilnehmen, kann weiterhin parallel das Bündelpatent nationaler Teile verwendet werden. Wenn Weg (ii) gewählt wurde, gibt es in den am Einheitspatent teilnehmenden Staaten keinen nationalen Teil des europäischen Patents mehr. Allerdings kann ein korrespondierendes nationales Patent mit gleichem Schutzumfang bestehen (kein Doppelschutzverbot).
Aus der nachstehenden Darstellung ist ersichtlich, wie das Einheitspatent (EPeW) das bisherige, oben gezeigte System ergänzt. Wichtig ist zu erwähnen, dass Rechtsstreitigkeiten (insbesondere die Patentverletzungsklage und die Patentnichtigkeitsklage) betreffend ein Einheitspatent ausschließlichvor dem neuen Einheitlichen Patentgericht (EPG), besser bekannt unter dem englischen Namen „Unified Patent Court“ (UPC), verhandelt werden können. Nationale Gerichte sind für ein Einheitspatent prinzipiell nicht zuständig.
Zunächst kann das Einheitspatent aus Kostengründen interessant sein. Wenn mit einem einzigen Patent 18 Staaten abgedeckt werden, entfallen die jeweiligen nationalen Jahresgebühren, Übersetzungsgebühren und Kosten nationaler Vertreter. Die Jahresgebühren für das Einheitspatent werden berechnet basierend auf den kombinierten Jahresgebühren der bei Ausarbeiten der rechtlichen Grundlagen des Einheitspatents größten europäischen Anmeldeländer, nämlich Deutschland, Frankreich, dem Vereinigten Königreich und den Niederlanden. Auch wenn das Vereinigte Königreich nach dem Brexit nicht mehr am Einheitspatent teilnimmt, sind die Kosten dadurch aber nicht reduziert worden.
Es lässt sich bereits erahnen, dass ein Einheitspatent kostentechnisch erst ab einer bestimmten Anzahl von vier bis fünf Ländern zweckdienlich ist. Soll beispielsweise lediglich in Deutschland, Frankreich und dem Vereinigten Königreich (kein am Einheitspatent teilnehmender Staat) validiert werden, so dürften die Kosten für ein Einheitspatent deutlich höher liegen als bei den nationalen Teilen des Bündelpatents. Wird das Bündelpatent aber im Gegenzug z.B. in zehn am Einheitspatent teilnehmenden Staaten validiert, so kann das Einheitspatent eine kostentechnisch interessante Alternative zu den nationalen Teilen darstellen.
Wenn Patentverletzungsklagen in mehreren europäischen Ländern zu erwarten sind, können diese über das Einheitspatent gezielt in einem Verfahren gebündelt werden. Prinzipiell ist für ein Einheitspatent nur ein Verletzungsprozess (für alle teilnehmenden Staaten) vorgesehen. Dadurch können die Gerichtskosten reduziert und die Verfahrenseffizienz erhöht werden. Gleichzeitig könnten auch in Ländern mit erfahrungsgemäß sehr langsam arbeitenden Gerichten zeitnahe Entscheidungen ermöglicht werden.
Das Einheitspatent kann auch ein Werkzeug sein, die ausschließliche Zuständigkeit des Einheitlichen Patentgerichts in Rechtsstreitigkeiten zu erwirken bzw. die Zuständigkeit nationaler Gerichte auszuschließen.
Das Einheitspatent kann aber auf der anderen Seite bereits durch ein einziges Nichtigkeitsverfahren in allen 18 teilnehmenden Staaten von dem EPG gleichzeitig für nichtig erklärt werden. Während es bei starken Schutzrechten vorteilhaft sein kann, sich lediglich einem zentralen Nichtigkeitsverfahren zu unterwerfen, könnte das Risiko, das Patent vollständig zu verlieren, bei schwächeren Schutzrechten als zu hoch eingeschätzt werden.
Insbesondere bei wertvollen Patenten bietet sich daher die Möglichkeit an, parallel zum Einheitspatent nationale Patente zur Erteilung zu bringen. Ein nationales Patent kann nämlich, wie oben bereits erwähnt, neben einem korrespondierenden Einheitspatent bestehen, selbst wenn der Schutzbereich derselbe ist. Im Falle, dass ein nationales Patent und ein korrespondierendes Europäisches Patent mit demselben Schutzbereich erteilt werden sollen (hier besteht ein sog. Doppelschutzverbot), könnte nach der Erteilung durch das Europäische Patentamt ein Einheitspatent gewählt werden, und das nationale Patent und das Einheitspatent können parallel existieren (kein Doppelschutzverbot).
Die bislang eröffneten Wege zur Durchsetzung und zur Beseitigung eines Patents bleiben weiterhin bestehen. Grundsätzlich ändert sich daran also zunächst nichts. Rechtsstreitigkeiten (insbesondere Patentverletzungsverfahren und Patentnichtigkeitsverfahren) betreffend ein nationales Patent oder den nationalen Teil eines europäischen Patents werden weiterhin vor den jeweiligen nationalen Gerichten verhandelt (siehe schematische Darstellung unten).
Das EPG hat das Potential, das bestehende europäische Patentsystem deutlich zu verändern, denn das EPG greift in zwei wichtigen Punkten in das bestehende System ein:
i) Mit dem neuen Einheitspatent ist eine zusätzliche Option gegeben, welche das bestehende europäische Patentsystem nicht ersetzt, sondern ergänzt. Rechtsstreitigkeiten bezüglich des Einheitspatents werden ausschließlich vor dem EPG geführt. Nationale Gerichte sind für das Einheitspatent nicht zuständig.
ii) Neben Rechtsstreitigkeiten bezüglich des Einheitspatents bietet das EPG eine zweite Option, die nicht sofort auf der Hand liegt, aber eine enorme Tragweite hat: Das EPG ist für Rechtsstreitigkeiten bezüglich JEDES nationalen Teils eines europäischen Patents der derzeit 17 EPG-Mitgliedstaaten zuständig. Das bedeutet, dass ab Beginn der Tätigkeit des EPG vom Kläger ausgewählt werden kann, ob ein solcher Rechtsstreit vor einem nationalen Gericht oder vor dem EPG verhandelt wird. Ist eine Klage vor dem EPG eingereicht worden, so ist dieses zuständig und der Weg über die nationale Gerichtsbarkeit blockiert.
Derzeit nehmen 18 Mitgliedstaaten (langfristig sind 24 Mitgliedstaaten geplant) der Europäischen Union (EU) am EPG teil. Dies sind dieselben Staaten, die auch am Einheitspatent teilnehmen. Während das Einheitspatent jedoch über zwei EU-Verordnungen geregelt ist, basiert das EPG auf dem sog. Übereinkommen für ein Einheitliches Patentgericht (EPGÜ), einem internationalen Vertrag (ähnlich wie das Europäische Patentübereinkommen, EPÜ). Materielles Recht der EU-Verordnungen sind aber in das EPGÜ ausgelagert, so dass Einheitspatent und das EPG untrennbar miteinander verflochten sind.
Unten ist schematisch dargestellt, wie das EPG bzw. das europäisches Patent mit einheitlicher Wirkung (EPeW) das bisherige, oben gezeigte System ergänzt. Wichtig ist zu erwähnen, dass Rechtsstreitigkeiten (insbesondere Patentverletzungsklage und Patentnichtigkeitsklage) betreffend ein EPeW ausschließlich vor dem neuen EPG verhandelt werden können. Nationale Gerichte sind für ein Einheitspatent prinzipiell nicht zuständig. Für nationale Teile von europäischen Patenten in den EPG-Mitgliedstaaten ist das EPG aber auch, neben den nationalen Gerichten, zuständig. Es besteht also eine geteilte Zuständigkeit.
Zunächst kann ein Verfahren vor dem EPG bezüglich Kosten und Effizienz interessant sein. Ein Patentschutz über das Einheitspatent spart gegenüber entsprechenden nationalen Teilen eines europäischen Patents zunächst Jahresgebühren (eine Kostenersparnis ist in der Regel im Vergleich zu einer Validierung in ca. vier oder mehr Staaten eines europäischen Patents möglich). Da mit einer einzigen Patentverletzungsklage bzw. Patentnichtigkeitsklage derzeit bis zu 18 Staaten abgedeckt werden, lässt sich bereits erahnen, dass hier enorme Gerichts- und Anwaltskosten, insbesondere bei hohen Streitwerten, eingespart werden können. Bei einer einzigen Gerichtsentscheidung (im Gegensatz zu bis zu 18 einzelnen) werden zudem widersprüchliche Entscheidungen vermieden.
Wenn Patentverletzungsklagen in mehreren europäischen Ländern zu erwarten sind, können diese über das EPG somit gezielt gebündelt werden. Ferner können effiziente Verfahren auch in Ländern mit erfahrungsgemäß sehr langsam arbeitenden Gerichten ermöglicht werden. Allerdings nimmt das für Patentstreitigkeiten wichtige (und bisher sehr kostspielige) Vereinigte Königreich am EPG nicht teil.
Korrespondierend zu einem einzigen Patentverletzungsprozess findet vor dem EPG aber auch nur ein einziger Nichtigkeitsprozess statt. Das europäische Patent kann somit durch ein einziges Nichtigkeitsverfahren in allen 18 teilnehmenden Staaten zugleich für nichtig erklärt werden. Während es bei starken Schutzrechten vorteilhaft sein kann, lediglich ein Nichtigkeitsverfahren zu überbestehen, könnte das Risiko, das Patent vollständig zu verlieren, bei schwächeren Schutzrechten als zu hoch eingeschätzt werden.
Das EPG weist in der ersten Instanz zwei Gerichtsbarkeiten auf, zwischen denen der Kläger wählen kann:
i) Eine Lokalkammer bzw. länderübergreifende Regionalkammer und
ii) Die Zentralkammer, welche abhängig vom technischen Gebiet in Paris oder München liegt.
Während eine Verletzungsklage bei beiden Gerichtsbarkeiten eingelegt werden kann (und eine Nichtigkeits-Widerklage ermöglicht ist), wird eine isolierte Nichtigkeitsklage nur bei der Zentralkammer erhoben.
Die Lokal-/Regionalkammer ist eine hierfür bestimmte Gerichtsbarkeit eines EPGÜ-Mitgliedstaates mit viel Erfahrung in Patentstreitsachen. Deutschland verfügt mit den vier Gerichtsstandorten Düsseldorf, München, Mannheim und Hamburg über die größte Anzahl an Lokalkammern.
Die zweite Instanz ist die zentrale Beschwerdekammer in Luxemburg. Gemäß dem EPGÜ ist das EPG ein Gericht der EU und damit dem Europäischen Gerichtshof (EUGH) vorlageberechtigt bzw. -verpflichtet, so dass dieser eine weitere Instanz darstellen könnte. Dies ist derzeit allerdings noch ungeklärt.
Dies ist nicht notwendig. Nach Inkrafttreten des EPGÜ ist das EPG automatisch für jedes europäische Patent (mit zumindest einem nationalen Teil in den 18 EPGÜ-Mitgliedstaaten) zuständig. Die Zuständigkeit nationaler Gerichte kann hierbei nicht ausgeschlossen werden.
Ja, und zwar zumindest in den ersten sieben Jahren nach Inkrafttreten des EPGÜ über die sogenannte „Opt-Out“-Möglichkeit: Mittels eines Antrags, für den keine Amtsgebühr anfällt, kann ein europäisches Patent der Zuständigkeit des EPG entzogen werden.
Ab dem Inkrafttreten des Übereinkommens über ein Einheitliches Patentgericht (EPGÜ) am 1. Juni 2023 ist das neue Einheitliche Patentgericht (EPG bzw. besser bekannt als „UPC“) automatisch für jedes europäische Patent zuständig. Zugleich bleiben auch die nationalen Gerichte zuständig. Es kommt also darauf an, welches Gericht (das EPG oder das nationale Gericht) zuerst angerufen wird. Allerdings kann die Zuständigkeit des EPG für ein europäisches Patent gezielt ausgeschlossen werden. Hierfür ist ein sogenannter Opt-Out-Antrag beim EPG (nicht beim Europäischen Patentamt) zu stellen. Wie eingangs erläutert, ist jedes europäische Patent, also auch ein europäisches Patent, das vor dem 1. Juni 2023 erteilt ist, automatisch im neuen System und entsprechend vor dem Europäischen Patentgericht anhängig, also „Opt-In“. Eine Unzuständigkeit des EPG muss also explizit mit dem Opt-Out-Antrag beantragt werden, wobei diese Unzuständigkeit, solange noch kein Verfahren (bzw. Rechtsstreit) anhängig ist, auch wieder rückgängig gemacht werden kann. In anderen Worten, ein späteres „Opt-In“ in den Zuständigkeitsbereich des EPG ist möglich. Es ist zu beachten, dass ein „Opt-Out“ nur für „klassische“ europäische Bündel-Patente möglich ist. Für ein Einheitspatent (europäisches Patent mit einheitlicher Wirkung (EPeW)) kann kein „Opt-Out“ erklärt werden, denn für das Einheitspatent ist ausschließlich das EPG zuständig.
Wird kein Opt-Out erklärt, so hat der Patentinhaber die Wahlmöglichkeit, vor einem nationalen Gericht oder dem EPG zu klagen (insofern noch kein Rechtsstreit anhängig ist). Damit bleiben zunächst alle Möglichkeiten offen.
Das EPG hat für den Patentinhaber den „Nachteil“, dass ein europäisches Patent in einem einzigen Nichtigkeitsverfahren vor dem EPG vernichtet bzw. eingeschränkt werden kann (ähnlich dem Einspruchsverfahren vor dem Europäischen Patentamt). Insbesondere wertvolle Patente könnten hier durch ein Opt-Out geschützt werden, denn Nichtigkeitsklagen müssten dann (wie bisher) in jedem Mitgliedstaat separat geführt werden, wodurch es ggf. zu unterschiedlichen Urteilen kommen kann.
Zugleich kann aber ein erfolgreiches zentrales Nichtigkeitsverfahren vor dem EPG das Patent auch enorm stärken und andere negative Entscheidungen ausschließen.
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